Wenn Hanspeter Geiger, 69, von seiner ehrenamtlichen Tätigkeit erzählt, weitet sich der Bündner Horizont bis Eritrea aus. Der ehemalige Kantonsschullehrer für Griechisch, Latein und Geschichte lässt aktuelle Geschehnisse lebendig und greifbar werden. Die Geschichte, die er erzählt, erzählt von den Gräueln eines tyrannischen Staates. Doch da spricht ein Menschenfreund, der es versteht, diesem Grauen etwas Besänftigendes, Freundliches entgegenzusetzen.
Hanspeter Geiger begleitet Flüchtlinge aus Eritrea. Er ist kein Gutmensch, der sich diese Aufgabe gezielt ausgesucht hat – die Flüchtlinge haben ihn gefunden. Der grossgewachsene, weisshaarige Mann lebt mit seiner Frau in einem Haus zuhinterst in Haldenstein. Im unteren Geschoss vermietet das Paar eine Einzimmerwohnung. Vor bald fünf Jahren meldete sich auf ihr Wohnungsinserat eine Mitarbeiterin des Sozialamtes – sie suchte für einen Eritreer eine Bleibe. Er empfing den jungen Flüchtling zur Wohnungsbesichtigung – und war von ihm sogleich eingenommen. Sobald Flüchtlinge anerkannt oder vorläufig aufgenommen sind, sollten sie die Flüchtlingsunterkunft verlassen und ein eigenes Zimmer oder eine Wohnung beziehen. Doch diese Selbstständigkeit verlangt diesen Menschen einiges ab, und wer die hiesige Sprache nicht gut genug beherrscht, findet sich nicht zurecht. Der ehemalige Lehrer begann, den jungen Mann zu unterstützen, seine Deutschkenntnisse zu verbessern.
Sprachunterricht erleichtert die Integration
"Die Eritreer hier sind untereinander sehr gut vernetzt und haben einen grossen Zusammenhalt, was zwar wichtig für sie ist, doch die Integration auch erschweren kann", weiss Geiger aus Erfahrung. Er spricht mit seinem eritreischen Freund konsequent Hochdeutsch. Doch sein Engagement beschränkt sich nicht allein auf den Deutschunterricht, und er ist nicht allein mit seinem ehrenamtlichen Wirken – seine Frau hilft mit. Beim Interviewtermin begleitete sie T* zu einem Bewerbungsgespräch. Sie hilft ihm auch, Bewerbungen zu schreiben.
Im Hintergrund dieses freiwilligen Schaffens steht das Projekt "eins zu eins", das vom Roten Kreuz Graubünden in Zusammenarbeit mit dem Kantonalen Sozialamt angeboten wird. Das Projekt will vorläufig aufgenommenen und anerkannten Flüchtlingen den Alltag in der Fremde erleichtern. Das oben erwähnte Wohnungsinserat war lediglich der Stein des Anstosses – und der hat einiges ins Rollen gebracht. Der 35jährige Eritreer T* lebt unterdessen mit seiner Frau zusammen, die er nach Jahren der Verschollenheit auf abenteuerliche Weise wieder gefunden hat. Auch sein um 15 Jahre jüngerer Bruder lebt als vorläufig aufgenommener Flüchtling in Graubünden und wird von Hanspeter Geiger in Deutsch unterrichtet, ebenso T*s Frau.
Achtung vor dem Unaussprechlichen
In Haldenstein lebt eine weitere Familie aus Eritrea, die der Pensionierte begleitet – und die Frau in Deutsch unterrichtet. "Es wird langsam etwas viel, zumal ich alle einzeln unterrichte", berichtet der passionierte Wieder-Student. Als 60jähriger trat er nämlich von seinem Kantonsschullehrer-Sein zurück – und schrieb sich an der Uni Bern ein. Dort belegt er semesterweise Veranstaltungen für griechische Literatur und Geschichte. Den Morgen verbringt er regelmässig in seinem Studierzimmer und arbeitet zwischen Stapeln von Büchern und Papieren. Was der Wissensdurstige tut, tut er mit grosser Leidenschaft. "Die Abgrenzung fällt mir manchmal etwas schwer, auch deshalb wird es mitunter etwas viel", reflektiert der einfühlsame Lehrer und Student.
Die Menschen, die er begleitet, haben ein schweres Schicksal zu tragen – er hilft mitzutragen. "Diese Menschen erzählen nicht viel von den qualvollen Ereignissen, die sie erlebt haben. Meine Aufgabe ist es nicht, nachzubohren." Wenn Geiger von seinen eritreischen Freunden spricht, spürt man grössten Respekt. "Die Eritreer sind im Allgemeinen feine Leute", sagt er. Dieser Respekt hat ihm berührende Begegnungen ermöglicht – die Fremden vertrauen ihm, so wie er ihnen vertraut. Er urteilt nicht über Verhaltensweisen, die nicht seinen eigenen Werten entsprechen – er akzeptiert sie; aber er ist bestrebt, die Flüchtlinge in unsere Kultur einzuführen, damit sie lernen, auch unsere Werte zu akzeptieren. Und wenn er selber Kraft tanken will, wenn das Mittragen schwer wird, spielt er Oboe – zusammen mit seiner Frau, mit der er regelmässig in einem Quartett musiziert.